PANEL 48 (AG MUSEUM)
Konflikte musealisieren? Die Institution Museum im Spannungsfeld gesellschaftlicher Krisen
Freitag, 2.10.2015, 9:00-10:30 Uhr, Raum +1/0010 (Philipps-Universität Marburg)

 

Karoline Noack, Bonn

Der Welt fern und doch so nah – Völkerkundemuseen in der DDR als permanente Krise?

Die Sammlungen der Völkerkundemuseen in der DDR machten diese zu Schaufenstern der Welt. Die politischen Grenzen zwischen den Wirtschaftssystemen zogen aber auch Grenzen, die durch das Museum selbst verliefen, kontrastierten sie doch die DDR-Enge mit Weltweite. Ausstellungen der Völkerkundemuseen waren ihren Besuchern Imaginationen von Sehnsüchten. Der Ideologie der Völkerverständigung des Staates begegneten die Museen sehr erfolgreich auf der kulturellen Ebene. Befanden sich durch diese Widersprüche die Völkerkundemuseen in der DDR per se in einer permanenten Krise? Anhand von Ausstellungen, der wissenschaftlichen Arbeit in den Museen und ihrer Vernetzung mit anderen Institutionen der Ethnologie in der DDR, wie Universitäten und Akademie der Wissenschaften, soll der Frage nachgegangen werden, in welcher Weise sich gesellschaftliche Realitäten und Konflikte in der DDR sowie die Perzeption anderer Gesellschaften in den Völkerkundemuseen widerspiegelten. Welche Rolle hatten die Völkerkundemuseen im Wissenschaftssystem sowie in der Gesellschaft insgesamt, welche Themen wurden aufgegriffen, in welcher Form wurden zentrale gesellschaftliche Probleme formuliert und visualisiert?

Befanden sich die Völkerkundemuseen in der DDR in einer permanenten Krise? Anhand von Ausstellungen und Arbeitsweisen der Museen wird dargestellt, wie sich gesellschaftliche Realitäten und Konflikte sowie die Perzeption anderer Gesellschaften in den Völkerkundemuseen widerspiegelten.

 

Christine Kron, München

Zur Rezeption der Fotoausstellungen "Letzte Ölung Nigerdelta. Das Drama der Erdölförderung in zeitgenössischen Fotografien" (2012) "Augenblick Afghanistan. Angst und Sehnsucht in einem versehrten Land" (2012/13) und "Unsichtbar. Frauen.Überleben.Säure" (2014)

Im Rahmen der Neupositionierung des Museums Fünf Kontinente (bis September 2014 Staatliches Museum für Völkerkunde München) leitete das Museum 2012 mit der Ausstellung „Letzte Ölung Nigerdelta“ einen Paradigmen-Wechsel ein. Dieser fand in zwei weiteren Fotoausstellungen über Afghanistan und über Frauen, die durch Brand- und Säureattentate verletzt worden waren, seine Fortsetzung. Die Rezeption durch die Öffentlichkeit war unterschiedlich, kontrovers und für das Museum in vielerlei Hinsicht überraschend. Die Reaktionen bewegten sich zwischen den beiden Polen „Gegenwartsbezug in einem Völkerkundemuseum ja, aber bitte nicht, wenn er hässlich ist“ und „endlich eine Thematisierung aktueller politischer und gesellschaftlicher Geschehnisse – künftig gerne mehr davon.“ Der Vortrag berichtet vom Spannungsverhältnis zwischen musealen Hoffnungen und Erwartungen von Besuchern und Medien.

Das Nigerdelta und Afghanistan tauchen in den Medien vor allem als "Krisenländer" oder "Krisenherde" auf. Mit den beiden Ausstellungen versuchte das Museum, die Situation vor Ort aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten, durch Alltags- wie durch künstlerische Dokumentationen.

 

Gabriele Herzog-Schröder, München

Amazonische Souvenirs – oder „remember to forget“ in ethnographischen Sammlungen und Ausstellungen

Mit dem Kautschukboom geriet das indigene südamerikanische Tiefland in eine existentielle Krise, die sich als Goldrausch, durch Ölbohrungen oder Landraub für Sojaanbau fortsetzt. Insbesondere die indigene Bevölkerung Brasiliens wurde seit der intensiv vorangetriebenen Erschließung Amazoniens ab Mitte des 20. Jahrhunderts, durch Vertreibung und Umsiedlung massiv dezimiert und entwurzelt. In wieweit spiegeln die entsprechenden ethnographischen Sammlungen in Museen diese traumatisierenden Szenarien und welchen Widerhall finden diese in aktuellen Ausstellungen?  Der Beitrag berücksichtigt in der exemplarischen Darstellung auch die indigene „Erinnerungs- bzw. Vergessens-Kultur“: im Umgang mit individuellen oder kollektiven Traumata neigen amazonische Amerindianer zur Auslöschung von Erinnerung. Häufig werden die von Verstorbenen besessenen oder hergestellten Objekte vernichtet – um so quasi aktiv zu vergessen. Welche Konsequenzen ergeben sich aus dieser Haltung für Ausstellungskonzepte und für den konservatorischen Umgang mit amazonischen Ethnographica?

Gesellschaftliche Traumatisierung bildet sich in materiellen Zeugnissen ab. In ethnographischen Darstellungen Amazoniens werden indigene Gesellschaften allerdings häufig in ihrer traditionellen und ungebrochenen Gewandung inszeniert. Entspricht dies deren gesellschaftlichem Tabu, Vergangenes zu benennen?

 

Philipp Schorch, München

E Kū Mau Mau - Stand Up Together. Hawaiians, Ethnographic Museums and the Constant Crisis of Representation

From a Hawaiian perspective, so-called ethnographic museums are in a constant state of crisis. Hawaiians continue to face and contest the predominant reality of being Natives in Non-Native spaces, which reflects the broader and persistent struggle against illegal occupation and for political sovereignty. What roles have museums and their cultural agency played in this wider and ongoing political (re)configuration? This paper draws on collaborative research on Indigenous curatorial practices at Bishop Museum, Hawai’i, and the current ‘fundamental interpretive shift towards a Native perspective’ (Kahanu, 2014). It argues that the Hawaiian (re)capturing of interpretive authority at Bishop Museum is not a new phenomenon but the current manifestation of a continuum of strategies contesting the constant crisis of museological representation. The historically grounded ethnographic insights into Hawaiian material ontologies, Indigenous concepts and practices have significant implications for museums in Germany and Europe, which continue to produce and represent Hawaiian visual and material culture through the separation and imposition of alien categories such as ‘art’ and ‘artefact’.

The paper draws on historically grounded, collaborative ethnographic research on Indigenous curatorial practices at Bishop Museum, Hawai’i, which offers insight into Hawaiian material ontologies that cannot be reduced to, or equated with, Euro-Americentric categories such as ‘art’ or ‘artefact’.